KÜNSTLER / ARTIST
1952 Geboren in Bad Wörishofen
1972 – 1979 Studium der freien Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf
bei den Professoren Joseph Beuys und Gerhard Hoehme
Meisterschüler von Professor Gerhard Hoehme
Immer wieder pendelt unser Gespräch in den folgenden zwei Stunden zwischen Bildlichkeit, Weltpolitik und ganz privaten Erfahrungen hin und her, verweilt mal bei gestischer Malerei, die aus der Tradition des deutschen Informel kommt, mit der Jürgen Hartwig über seinen Lehrer Gerhard Hoehme vertraut wurde, und beschäftigt sich dann wieder mit dem zitieren gegenständlicher Bildmotive aus vielerlei Quellen, wie sie uns die Pop-Art und neodadaistische Strömungen in der Nachkriegszeit gezeigt haben.
„Ich male in einer Matrix und ich lebe in einer Matrix. Als Maler (Künstler) lebe ich in einer Scheinwelt. Kunst ist immer artifiziell.“
Schon Hans Gercke, der anlässlich einer damaligen Ausstellung einen heute noch sehr lesenswerten Artikel über Jürgen Hartwig schrieb, hat schon damals darauf hingewiesen, wie wichtig Humor für den Künstler ist. „Ich ironisiere leicht“.
Nah fühlt er sich dabei Sigmar Polke, der in seinen Werken immer wieder jegliche Form von Erhaben- und Abgehobenheit durch banale Einsprengsel untergrub und zum Stürzen brachte, um auch befreiendes und schalkhaftes Schmunzeln auszulösen. Sigmar Polke, wie Jürgen Hartwig Schüler von Gerhard Hoehme, regt ihn immer wieder zum Verwenden von Bildtechniken an.
„Schau, dort habe ich Spitze genommen, sie auf Leinwand gelegt und dann Farbe darauf gesprüht. Entstanden ist ein weißer, filigran ornamentaler Schattenriss des Stoffteils. Bei einer Ausstellung in einer ehemaligen Burg des Deutschritterordens in Polen habe ich diese Technik eingesetzt. `Neue Heimat` nannte ich das hochformatige Bild, dass sich auf die Plattenbauten bezog, die ich rundherum erlebte, gegen deren Brutalität die Bewohner mit niedlichen Gardinchen aus Spitze ankämpften.“
Aus den unterschiedlichsten Quellen speist sich die Entwicklung der Bildzusammenhänge. „Aktuelle, historische, politische, oft auch ganz private Bezüge werden verarbeitet…“ wie Hans Gercke schon schrieb.
Jürgen Hartwig zieht sein Portemonaie heraus und gibt mir einen kleinen Zeitungsausriss. „Trotz Klimaerwärmung ist Andersens `Schneekönigin` bei Kindern immer noch sehr beliebt“, steht dort in der bekannten Typographie der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Erst durch die Isolierung erhält, so finde ich, der banale Satz eine verrätselnde, poetische Dimension. Auf dem dadurch angeregten Bild, dass uns beim Gespräch gegenüber steht, erkenne ich inmitten von Schneegestöber aus weich getupften Pinselpunkten eine Zahlenreihe und ein blaues figürliches Motiv. Jürgen Hartwig holt eine Pappschachtel mit Zeitungsausschnitten vom Schreibtisch, sucht lange darin, bis er ein Foto herausfischt, das eine Nachricht für Telefonsex illustriert. Und so fügt sich zur 0190-er Nummer der Schemen einer Schneekönigin.
Privates, Gesellschaftliches und Mythologisches mischen sich zu einer kryptischen Bildsprache, die die Phantasie des Betrachters auf Reisen schickt, die ihn einlädt, sich assoziativ mit seiner Lebenserfahrung beim Bilderlesen einzubringen, jenseits von Logik weit entfernter Dinge in Verbindung zu bringen, die im riesigen Speicher unseres Bewusstseins abgelegt sind. Das Bilderlesen bei Jürgen Hartwig rüttelt uns durch, macht uns aufmüpfig und misstrauisch gegenüber allen gesicherten Werten unserer Existenz.
Zitate als Anlass zur Bildentstehung oder als Bildbestandteile zu verwenden, kam als Anregung jedoch nicht nur aus Richtung Gerhard Hoehmes. Schon Joseph Beuys, bei dem Jürgen Hartwig sein Studium begann, hatte den jungen Maler mit seinen Werktiteln fasziniert. Als Hommage an den umfassend denkenden Künstler, der die Grenzen zwischen Kunst und Leben immer wieder niederriss, nannte er eines seiner Werke „Nur mit dem Knie gedacht“.
„Ich bin kein Systematiker, der acht Stunden täglich an einer Arbeit malt“, bringt es Jürgen Hartwig auf den Punkt. „Eher, so könnte man sagen, ein Aphoristiker“. Kunstreich versucht er Einsichten in einem bildlich-assoziativen Zusammenhang zu verdichten.
Und so schaue ich auf ein weiteres Bild mit dem Satz „Nee, nich schon wieder! Nur 3,99 €“ und erkenne darunter deutlich die vertraute Silhouette der „Freiheit auf den Barrikaden“ von Delacroix. Deutlicher könnte man nicht Schmunzeln lehren über die Verdrehung des Freiheitsbegriffes in unserer von umfassender Kaufverlockung verpesteten Welt.